Chancen und Risiken – Was spricht für grossflächige Industriegebiete und was spricht dagegen?
Eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes Radeberg ist sinnvoll und notwendig. Zunächst sollten wir darüber nachdenken, wie die bereits ansässigen klein- und mittelständischen Unternehmen gefördert werden können, damit sie dauerhaft in Radeberg aktiv sein können. Darüber hinaus bedarf es einer gründlichen Analyse, welche Art und in welchem Umfang Unternehmen über den aktuellen Bestand hinaus angesiedelt werden sollten. Für die Flächenbereitstellung ist der durch den Stadtrat beschlossene Grundsatz, zunächst vorhandene Brachen zu revitalisieren, konsequent umzusetzen.
Der Stadtrat plant hingegen zwei Gebiete für industrielle Großansiedlungen (großflächige Gewerbebetriebe) auf einer Fläche von insgesamt 135 Hektar! Das sind 1,35 Millionen Quadratmeter oder 2700 Eigenheimgrundstücke à 500 Quadratmeter. Mangels einer Antwort auf mehrfache Fragen nach entsprechenden Interessenten ist von einer Flächenentwicklung „auf Vorrat“ auszugehen.
Was spricht für – was spricht gegen diese Entwicklungen?
Chance
Gesunde Stadtfinanzen durch Gewerbegebiete
Wenn sich große Industrieunternehmen ansiedeln, können sie Gewerbesteuereinnahmen für die Stadt generieren. Der Stadtrat erhofft sich dadurch mehr Gestaltungsspielraum für die zukünftige Stadtentwicklung.
Risiko
Langfristige Verschuldung
Die Stadt muss die Erschließung der Gewerbeflächen vorfinanzieren. Siedelt sich dann kein Unternehmen an, erhält die Stadt weder Gewerbesteuereinnahmen noch kann sie die Kosten der Erschließung über Erschließungsbeiträge refinanzieren.
Risiko
Mehr Kosten als Einnahmen
Bisher hat die Stadt keine Kostenschätzung für die Entwicklung der Gewerbegebiete offengelegt. Die Erfahrungen des Industrieparks Oberelbe zeigen, dass es ein erhebliches Kostenrisiko bei der Entwicklung von Gewerbegebieten gibt. Daher ist unklar, ob und wann die erhofften Gewerbesteuereinnahmen die Kosten für die Erschließung der Gewerbegebiete sowie die Kosten für den Erwerb der vorgesehenen Flächen refinanzieren. Statt dem erhofften Wohlstand durch neue Gewerbegebiete könnten hohe Kreditbelastungen dazu führen, dies auch zukünftig wichtige Vorhaben in Radeberg nicht realisiert werden können.
Risiko
keine Fördermittel für die Erschließung
Bisher wurden die Erschließungsleistungen in kommunalen Gewerbegebieten oft über Förderprogramme teilfinanziert. Ob angesichts der Größe der geplanten Industriegebiete ein großer Teil der Erschließungsleistungen gefördert werden könnte, ist angesichts der aktuellen Haushaltslage bei Bund und Ländern fraglich.
Die vom Stadtrat in den Raum gestellte Mitfinanzierung durch anzusiedelnde Industrieunternehmen ist im gewerblichen Bereich unüblich. Hier sind eher Anreize erforderlich, damit sich Unternehmen überhaupt ansiedeln.
Risiko
Gestiegene Kosten für den Grunderwerb
Die beiden Aufstellungsbeschlüsse für die Bebauungspläne umfassen zum größten Teil keine Flächen, die im kommunalen Eigentum stehen. Der Wert dieser bislang landwirtschaftlich genutzten Flächen ist mit den Aufstellungsbeschlüssen bereits deutlich gestiegen, da sie jetzt die Qualität von Bauerwartungsland haben. Ihr Ankaufspreis wird dadurch deutlich steigen.
Nach bisheriger Auskunft der Stadt sind für den Erwerb dieser Flächen noch keine Mittel geplant.
Risiko
Flächenverfügbarkeit
Die Stadt muss mindestens die Flächen erwerben, auf denen sich die zukünftig öffentlich gewidmeten Verkehrsflächen befinden. Dafür steht ihr das Recht zur Enteignung nach Maßgabe des Baugesetzbuches zu, falls ein freiwilliger Verkauf durch die Eigentümer abgelehnt wird.
Dieses Recht hat die Stadt jedoch für die eigentlichen Gewerbeflächen nicht. Kann die Stadt diese Flächen nicht erwerben, hat sie – außer den Festsetzungen aus dem Bebauungsplan – keinen Einfluss auf die Art der sich ansiedelnden Gewerbe.
Risiko
Ausweisung von Industrie- statt gewerbegebieten
Die Stadt hat Fördermittel zur Entwicklung von Gewerbeflächen für großflächige industrielle Ansiedlungen erhalten. Auch wenn dies bislang nicht so deutlich kommuniziert wird, muss sie damit die Ausweisung von zwei Industriegebieten planen.
Von Industriegebieten dürfen erhebliche Belästigungen und Umweltbelastungen ausgehen, während Gewerbegebiete keine oder nur geringfügige Belastungen mit sich bringen.
Chance vs. Heraus-forderung
Neue Arbeitsplätze
Mit neuen Gewerbe- und Industrieansiedlungen könnten attraktive Arbeitsplätze geschaffen werden
Bereits heute pendeln mehr Arbeitskräfte nach Radeberg ein als von Radeberg in andere Gemeinden. Ansässige Unternehmen suchen schon jetzt nach qualifizierten Arbeitskräften. Dieser Mangel an Arbeitskräften kann sich verstärken, wenn sich große Unternehmen mit hohem Arbeitskräftebedarf ansiedeln.
Risiko
Unverhältnismäßigkeit der Gewerbegebiete
Radeberg hat derzeit ausgewiesene Gewerbeflächen von ca. 90 ha, die nicht komplett belegt sind.
Es gibt keine Aussage der Stadt über einen nachweislichen Bedarf an zusätzlichen Gewerbeflächen. Es gibt auch kein vom Stadtrat beschlossenes Gewerbeflächenentwicklungs-konzept.
Neue Gewerbegebiete in einer Größe von 135 ha würden die Gewerbeflächen der Stadt auf einen Schlag mehr als verdoppeln. Unklar ist deshalb, ob es tatsächlich so viele Unternehmen geben wird, die sich in diesen Gewerbegebieten ansiedeln.
Risiko
Flächenverlust für Unternehmen der Landwirtschaft
Die Flächen, auf denen die Industriegebiete entstehen sollen, werden heute landwirtschaftlich genutzt. Mit der Änderung dieser Nutzung verlieren die Landwirte einen großen Teil ihrer wirtschaftlichen Grundlage. Gewerbliche/industrielle Neuansiedlungen gehen dann zu Lasten ansässiger Unternehmen der Landwirtschaft.
Risiko
Dauerhafter Verlust von Vorrangflächen für die landwirtschaft
Der rechtskräftige Regionalplan weist die Flächen, auf denen die Gewerbegebiete geplant werden sollen, als Vorrangflächen für die Landwirtschaft aus. Eine Versiegelung und Änderung der Nutzung soll mit dieser Festsetzung verhindert werden. Die Planungen widersprechen dieser Festsetzung. Auch das überregionale Ziel, den Verlust landwirtschaftlicher Flächen durch Siedlungsvorhaben einzuschränken, wird nicht beachtet.
Risiko
Weiterer Flächenverbrauch zur Sicherung der technischen infrastruktur
Neue Industrieansiedlungen brauchen große Mengen an Strom, Wasser und verursachen mehr Abwasser. Die Infrastruktur für derartige Ansiedlungen muss erst noch errichtet werden. Der Ausbau des Leitungsnetzes, die Errichtung von Umspannwerken etc. benötigen weitere Flächen, da sie außerhalb der Grenzen der Bebauungspläne liegen.
Risiko
Noch mehr Flächenverbrauch für Folgeinvestitionen
Industrielle Großunternehmen beziehen in ihre Standortentscheidung auch weiche Faktoren ein. Dazu gehören neben der Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte auch Wohnungen, Kitas, Schulen, medizinische und andere soziale und kulturelle Einrichtungen.
Arbeitskräfte, die in den neu anzusiedelnden Unternehmen tätig sein werden, brauchen genau diese Einrichtungen. Es gibt bis heute keine Überlegung der Stadt, wo solche Einrichtungen gebaut werden könnten und wie die Stadt dies finanzieren will.
Risiko
Wasserversorgung
Der Landschaftsplan belegt, dass die Grundwasserentstehung in den Böden der geplanten Industriegebiete empfindlich auf Versiegelungen reagiert.
Bereits heute muss Radeberg sein Trinkwasser aus der Lausitz beziehen. Die Stadt konnte auf Nachfrage keine Aussage machen, ob die vorhandenen natürlichen Ressourcen und die vorhandene Infrastruktur den Bedarf von großen Industrieunternehmen decken könnte. Dresden muss mit einem Flusswasserwerk auf den hohen Wasserbedarf reagieren. Kosten für den Ausbau des Trinkwassernetzes wären also auch in Radeberg zu erwarten.
Risiko
Steigende Temperaturen
Die für die Gewerbegebiete vorgesehenen Flächen sind für den Luftaustausch der Stadt Radeberg von eminenter Bedeutung. Auf diesen Flächen entsteht Frisch- und Kaltluft, die eine Überwärmung der Stadt verhindern. Große Industriehallen würden diesen Luftaustausch behindern. Die Folge: Die Frischluftzufuhr in die Stadt Radeberg würde nachhaltig gestört und die Durchschnittstemperatur könnte spürbar steigen.
Risiko
mehr lärm durch industriegebiete
Lärm macht krank!
Großflächige neue Industrieansiedlungen führen zu neuem Liefer- und Pendlerverkehr. Dieser wird nicht nur die Lärmbelastung verschärfen, die von der S 177 ausgeht. Auch der innerstädtische Verkehr wird zunehmen. Lärm würde damit ein Thema für die gesamte Stadt Radeberg.
Risiko
Das hüttertal leidet
Das geplante Industriegebiet an der Straße zwischen Radeberg und Wallroda grenzt direkt an das Hüttertal. Ein Schutzgebiet in einem europäischen Verbund. Und unser Naherholungsgebiet.
Die geplanten Industriegebiete durchschneiden die natürlichen Lebensräume der hier lebenden Wildtiere. Sie würden verdrängt und kehren nicht wieder zurück.